Tanguy und Laverdure Collector’s Edition 4

Am 29. Oktober 1959 erlebte in der ersten Ausgabe des Comicmagazins Pilote nicht nur Asterix seine Premiere, sondern auch eine weitere ebenfalls von Albert Uderzo gezeichnete Serie startete hier im wahrsten Sinne des Wortes durch.

Auch die Abenteuer der tollkühnen französischen Militärpiloten Michel Tanguy und Ernest Laverdure haben mittlerweile Klassikerstatus. Die Serie inspirierte zwei TV-Serien, sowie den aufwändigen französischen Kinofilm Sky Fighters.

Albert Uderzo blieb allerdings nur kurz an Bord und löste nach acht detailfreudig zu Papier gebrachten Alben mit Tanguy und Laverdure den Schleudersitz aus. Ein Wochenpensum von fünf Comicseiten pro Woche für Asterix und die Fliegerserie war für ihn nicht mehr zu bewältigen. Daher fragte er bei Joseph Gillain alias Jijé an, ob er die Serie übernehmen wolle. Zu Uderzos Überraschung war der Schöpfer von Comicerfolgen wie Valhardi oder Jerry Spring bereit in seine Fußstapfen zu treten.

Uderzo stand bei der Übergabe mit Rat und Tat zur Seite. Diese Zusammenarbeit beim Album Sondereinsatz resultierte in einigen höchst amüsanten und lässig in Szene gesetzten Slapstick-Aktionen, bei denen sich der tollpatschige Laverdure als Wintersportler versuchte.

Uderzo hielt es jedoch für keine gute Idee, dass Jijé das nach und nach das Aussehen von Tanguy und Laverdure änderte, damit sie den Darstellern Jacques Santi und Christian Marin (Der Gendarm von Saint Tropez) ähneln, die deren Rollen seinerzeit in der erfolgreichen TV-Serie Les Chevaliers du ciel spielten. Uderzo hatte damit nicht ganz unrecht, denn die TV-Serie ist heute vergessen, während Comics mit Tanguy und Laverdure immer noch erscheinen.

Ein gutes Beispiel ist die optimal zusammengestellte Collector’s Edition von Egmont. In den frei ersten Bänden kamen alle von Albert Uderzo gezeichneten Fliegercomics zum Abdruck. In der vierten Hardcoveredition sind nicht nur die ersten beiden albenlangen Geschichten von Jijé enthalten, sondern auch noch drei in Schwarzweiß gezeichnete Comics, die in der 1968 und 1969 in der kurzlebigen Taschenbuchreihe Super Pocket Pilote veröffentlicht wurden.

Diese jetzt im Albumformat abgedruckten Stories sind für Comicfreunde sehr interessant. Die erste, recht humoristische Geschichte erzählt davon, wie sich Michel Tanguy und Ernest Laverdure erstmals trafen. Soviel sei gespoilert: Es war nicht gerade Freundschaft auf den ersten Bilck. Die zweite Geschichte Flugzeug in Flammen ist ebenfalls recht amüsant und zeigt die Piloten im amourösen Zweikampf.

Bemerkenswert ist die letzte Kurzgeschichte Ein Pilot tappt in die Falle, denn diese Story wurde von Jijé plastisch mit Grautönen „koloriert“. In der interessant zusammengestellten Einleitung des Buchs kommt auch eine in Spanien veröffentlichte Alternativversion der ersten Comicseite dieser Geschichte zum Abdruck, Diese wurde knallbunt eingefärbt und dabei auch noch zensiert, denn ein Transistorradio wurde so verschoben, dass sich dahinter jetzt das zuvor gut zu sehende Bikinioberteil einer jungen Dame befindet.

Heiner Lünstedt

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Loki

2021 bereicherte Disney+ das Marvel Cinematic Universe in Windeseile durch drei höchst unterschiedliche Serien. WandaVision beschäftigt sich erstaunlich raffiniert und verspielt mit der Love Story zwischen Wanda Maximoff und dem Androiden Vision alias J.A.R.V.I.S.

Loki

Deutlich konventioneller kommt The Falcon and the Wintersoldier daher. Präsentiert wird ein auf knapp sechs Stunden gestreckter Spielfilm mit großartiger Action am Anfang und Ende, etlichen Durchhängern im Mittelteil, sowie niedrigkarätigen Gastauftritten (Black Panthers glatzköpfige Wachen, Captain Americas Nachbarin und Daniel Brühl).

Loki

Hinzu kam noch eine Serie über Thors Halbbruder, die bei dem Moment ansetzt, in dem sich Loki mitsamt des Tesserakts aus Avengers: Endgame verabschiedete. Er geriet in die Fänge der TVA (Time Variance Authority), einer Organisation, die darüber wacht, dass niemand von der Zeitachse abweicht.

Loki

Dort arbeitet ein gewisser Mobius M. Mobius, den Hochzeits Crasher Owen Wilson mit voller Starpower sehr charmant verkörpert und der ein interessanter Gegenpart zum Loki-Darsteller Tom Hiddleston ist. Hinzu kommt ein teilweise sehr schön verspielter 70er-Jahre-Look und skurriler Humor, irgendwo zwischen Doctor Who und Terry Gilliam.

Loki ist die erste Serie von Disney+, die für den heimischen Player veröffentlicht wird. Das limitierte optisch sehr hübsch aufgemachte Steelbook mit drei beigelegten Postkarten hat jedoch seinen Preis, denn es wird bisher nur als Kombi-Box mit zwei Blu-rays UND zwei 4K-UHD-Scheiben angeboten.

Auch das Bonusmaterial kann sich sehen lassen. Geboten werden diese Dokus: „Die Erschaffung der TVA“ (5:43 min), Pannen vom Dreh (1:21 min), Zwei zusätzliche Szenen (4:59 min), Das offizielle TVA-Einführungsvideo – Miss Minutes erklärt das Innenleben der TVA-Zeitleiste (1:46 min), „Versammelt“ – Ein 63-minütiges sehr interessantes Making-Of.

Heiner Lünstedt

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Kann eine Katze Bar Mitzwa haben?

Joann Sfar über das Judentum in Algerien.

Vortrag von Dr. Thomas Hausmanninger

Projektor im HP8 – Sonntag den 11. Juni 2023 – 19:00 Uhr – EINTRITT FREI

In Frankreich ist er ein Superstar: Joann Sfar, geboren 1971, Comic-Autor, Zeichner, Romancier und Filmemacher. Seinen größten Erfolg feiert er zur Überraschung seines Verlegers Dupuis ausgerechnet mit einem Comic über das Judentum in Algerien: Die Katze des Rabbiners. Übersetzt in mehr als 10 Sprachen macht ihn die weiter laufende Serie auch international bekannt.

Thomas Hausmanninger, Autor der bislang umfassendsten Buchmonographie über Joann Sfar, stellt in seinem Vortrag die Serie vor und führt in die jüdischen Themen und das jüdische Denken darin ein. Der unwiderstehliche Charme der Comics von Joann Sfar wird dabei fassbar + fühlbar.

Vasmers Bruder

Lange hat es gedauert. Bereits 2010 erschien in Ausgabe 6 und 7 der Monats-Zeitung COMIX die ersten 20 Seiten von Vasmers Bruder. Doch David von Bassewitz war mit seinen Zeichnungen nicht zufrieden und hat sie noch einmal komplett neu gezeichnet. Das Resultat gibt ihm absolut recht. Während die in COMIX abgedruckten schwarzweißen Seiten auf ihre rohe Art durchaus überzeugen konnten, sind die im fast vier Jahre später erschienenen Hardcover-Album veröffentlichten Zeichnungen sehr viel mehr als die ersten Fingerübungen eines talentierten Newcomers.

Vasmers Bruder

Beim ersten Durchblättern ist auf den düsteren Seiten des Albums kaum etwas zu erkennen, doch bei der Lektüre des Buches ist dann plötzlich doch alles da. Es braucht schon sehr viel Talent um mit derart reduzierten finsteren Bildern auf denen nur sehr selten Licht ins Dunkle kommt, so viel auszudrücken, wie es David von Bassewitz in Vasmers Bruder gelingt. Doch vor allem braucht es auch eine Geschichte, die es wirklich wert ist erzählt zu werden. Einmal mehr – nach seinen Mörder-Balladen Gift und Haarmann sowie dem etwas leichtfüßigeren Nachkriegs-Jugend-Drama Böse Geister – erweist sich Peer Meter als begnadeter Comic-Autor.

Vasmers Bruder

Aufhänger der Geschichte ist wieder ein Serienmörder aus längst vergangenen Zeiten, doch Meter siedelt seine Geschichte hauptsächlich im heutigen Polen an. Dort im Städtchen Ziebice, das einst als Münsterberg zum Deutschen Reich gehörte, trieb Karl Denke sein Unwesen. Der von seinen Nachbarn für einen harmlosen Kauz gehaltene Denke ermordete zwischen 1903 und 1924 mindestens 30 Menschen. Er verarbeitete deren Haut zu Schnürsenkeln oder Hosenträger und verkaufte ihr Fleisch angeblich auf dem Wochenmarkt. Da Denke nach seiner Ergreifung Selbstmord beging und auch um zu vertuschen, dass die örtlichen Stellen jahrzehntelang nichts bemerkt hatten, wurde in dem Fall danach nur noch sehr halbherzig weiter ermittelt.

Vasmers Bruder

Der Comic erzählt von einem gewissen Martin Vasmer, der versucht seinen Bruder Hans-Georg aufzuspüren, der in Polen für einen privaten TV-Sender Recherchen in Sachen Karl Denke anstellte. Martin erhielt seltsame SMS von seinem Bruder, konnte ihn aber telefonisch nicht erreichen. Daher bricht er auf ins verschneite Ziebice. Dort trifft er einen gewissen Sadowski, der Karl Denke für einen “in jeder Hinsicht faszinierenden Menschen“ hält und sich jeden Tag auf Spurensuche in dessen Haus begibt. Martin Vasmer ist ebenfalls nicht unempfänglich für Serial-Killer-Begeisterung und es erscheint ihm so als wenn in Ziebice der Geist von Denke noch sehr lebendig ist. Meter und von Bassewitz gelang eine ebenso spannende wie atmosphärisch düstere Geschichte, die auch davon erzählt, dass ganz schlimme Untaten nie wirklich verjähren.

Heiner Lünstedt

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Hamed Eshrat: Coming of H

Unter dem Motto “Vieles ist genau so passiert, einiges ganz anders“ erzählt der 1979 in Teheran geborene Hamed Eshrat (Nieder mit Hitler) eine Variante seiner in der westfälischen Provinz verbrachten Jugend.

Man könnte vermuten, dass es sich hierbei um eine Art Prequel zu Eshrats mit Nick Hornbys High Fidelity liebäugelnden Berlin-Comic Venustransit handelt. Doch Coming of H ist anders, lockerer in den entspannten Momenten und ernsthafter, wenn es mal tragisch zugeht.

Dadurch dass sich der Hamed im Comic, genau wie seine Mitschüler für Skaten, Graffitis, Kiffen und Mädchen interessiert und auf LPs oder Mixtapes dieselbe Musik hört, scheint bei ihm die Integration recht gut geklappt zu haben.

Doch das sehen die Eltern mancher Mitschülerinnen und die örtlichen Neonazis anders. Außerdem lebt Hamed immer noch bei seiner Familie und wird daher täglich damit konfrontiert, dass sein Vater körperlich zwar in Deutschland angekommen ist, sein Kopf sich aber immer noch im Iran befindet.

Eshrat bezeichnet seinen Comic als eine “Verdichtung mehrerer Lebensphasen“, was erklärt, warum darin nicht nur etliche lustige, zu Herzen gehende oder auch traurig machende Momente aneinandergereiht werden. In einem ebenso lockeren wie ausgereiften Zeichenstil wird scheinbar ganz nebenbei von einem jungen Menschen erzählt, der versucht seinen Platz im Leben zu finden und am Ende der Geschichte (Vorsicht Spoiler!) die Enge der Provinz hinter sich lässt.

Heiner Lünstedt  

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Punisher: Der König der Killer

Eine Figur wie der grimmige Punisher passt nur bedingt in ein von Disney erworbenes Marvel-Universum, zumal sich reale Söldner und zweifelhafte Gruppierungen mit dessen Totenkopf-Emblem schmücken. Daher wurden in den USA ab 2019 keine weiteren Comics mit dem Rächer Frank Castle veröffentlicht.

Doch jetzt gibt es einen Neustart, der die umstrittene Figur neu definieren soll. Mit Jason Aaron wurde keine schlechte Wahl getroffen, denn dieser hatte bereits einige Punisher-Comics geschrieben, die Steve Dillon zeichnete. Dillon brachte mit Welcome Back, Frank die wohl beste Frank-Castle-Storyline aller Zeiten zu Papier, die gerade bei Panini im Rahmen einer Gesamtausgabe der von Garth Ennis geschriebenen Punisher-Comics neu veröffentlicht wurde.

Aarons Punisher-Neustart The King of Killers macht einen etwas durchwachsenen Eindruck, ist aber zum Glück auch nicht der Versuch die Figur zum Disney-Prinzen zu machen. Frank Castle gerät in die Fänge des Ninja-Kults Die Hand, den einst Frank Miller für eine Daredevil-Serie erfunden hatte. Die Erzpriesterin der weltweit operierenden Organisation möchte den Punisher anheuern und hat als Argumentationshilfe dessen ermordete Familie revitalisiert…

Der vorliegende Band enthält nur die erste Hälfte von Aarons Miniserie, macht aber nur bedingt gespannt auf die Fortsetzung. Grafisch ist die Chose jedoch nicht uninteressant, was weniger an den routinierten realistischen Zeichnungen von Star-Wars-Zeichner Jesús Saiz liegt.

Sehr viel interessanter sind die von Paul Azaceta (Outcast) in einem völlig anderen experimentellen Stil realisierten Rückblenden, in denen Aaron interessante Details aus der Jugend von Frank Castle nachliefert. Ob er auch etwas Bedeutendes zur Zukunft des Punishers beisteuern wird, bleibt noch abzuwarten. Das neue Totenkopf-Emblem mit Hörnern ist jedenfalls nicht der Bringer…

Heiner Lünstedt

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Die ultimative Spider-Man-Comic-Kollektion

Im sogenannten Golden Age (1938 – 1955) des Superhelden-Comics wurden nur ein oder zwei Seiten benötigt um die Entstehungsgeschichte von Superman oder Batman zu erzählen. Als Marvel sein Silver Age (1956 – 1972) einläutete verwendete der Verlag nur unwesentlich mehr Raum darauf, um zu erklären, wie die Fantastischen Vier durch einen Raketenabsturz ihre Superkräfte erhielten.

Doch im August 1962 erzählten Stan Lee und Steve Ditko in Amazing Fantasy 15 schon etwas ausführlicher, wie der junge Peter Parker von einer radioaktiven Spinne gebissen wurde und erfuhr, dass die so erlangte Macht auch große Verantwortung mit sich bringt. Erst nach sechs Comicseiten ist erstmals das rotblaue Spinnenkostüm zu bewundern. Doch ein absolutes Novum stellte das im Oktober 2000 erschienene erste Heft der Serie Ultimate Spider-Man dar. Obwohl es mit 46 Comicseiten doppelt so dick wie die meisten US-Hefte war, konnte diesmal das Spider-Man-Kostüm nur auf dem Cover bewundert werden.

Im Innenteil lassen sich der neue US-Starautor Brian Michael Bendis und der Zeichner Mark Bagley (Spider-Man: Die Geschichte eines Lebens) sehr viel Zeit um Peter Parkers Alltag zu schildern. Der hochintelligente Schüler wird als Bücherwurm verlacht. Trost und Liebe findet er jedoch bei Onkel Ben und Tante May, sowie bei seiner Mitschülerin Mary Jane, die er in der klassischen Spider-Man-Serie erst sehr viel später kennenlernen sollte.

Erst am Ende des ersten Ultimate Spider-Man-Hefts erkennt Peter Parker, dass er Superkräfte besitzt und klebt an der Decke. Ein Kostüm hingegen ist noch lange nicht in Sicht. Dadurch, dass jeder Leser bereits weiß, dass Parker noch tolle Dinge im Spinnen-Outfit erleben wird, kann sich Bendis natürlich sehr viel mehr Zeit mit Peter Parkers Geschichte lassen und diese sensibler vertiefen als dies Stan Lee 1962 beim erstmaligen Vorstellen eines neuen Helden möglich war.

Die Serie schlug in den USA wie eine Bombe ein. Das erste Heft war sofort ausverkauft und wird mittlerweile hoch gehandelt. Marvel ließ dann anschließend Die Ultimativen X-Men, Die ultimativen Fantastischen Vier und dann auch noch The Avengers als Die Ultimativen auf die Leserschaft los. Bendis und Bagley schufen in 18 Jahren 111 Heften mit ihrem Ultimate Spider-Man.

Diese Serie veröffentliche bei Panini zunächst in 19 Sammelbänden. Ab September 2022 startete Die ultimative Spider-Man-Comic-Kollektion. Im Zweiwochentakt erscheinen 35 Hardcover-Bände mit einem durchgehenden Panorama-Buchrücken, der “mächtig Schwung ins Bücherregal“ bringen soll.

Heiner Lünstedt

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ZERBROCHENE MENSCHEN UND EIN KAPUTTER HELD

Ausstellung mit Werken des Münchner Comickünstlers Frank Schmolke

Münchner Stadtbibliothek im HP8

22.09. bis 03.10.2022 – 7.00 bis 23.00 Uhr

Hans-Preißinger-Straße 8– 2. Stock – Eintritt frei

Am Donnerstag, 22. September um 19.00 Uhr wird die Ausstellung mit einem Künstlergespräch mit Frank Schmolke eröffnet. Dieses findet im Vortragssaal Projektor im Erdgeschoss des HP8 statt. Der Eintritt ist ebenfalls frei. Anschließend gibt es in der Ausstellung eine Signieraktion.

Bitte informieren Sie sich vor dem Besuch der Bibliothek über die aktuellen Aufenthalts- und Hygieneregeln.

Das Comicfestival München findet im Juni 2023 in der Münchner Stadtbibliothek im HP8 statt. Dort gibt es bereits in diesem Jahr eine Comicveranstaltung. Im Zentrum stehen zwei Werke von Frank Schmolke, die auch außerhalb der Comicbranche viel Aufmerksamkeit erfahren haben.

Frank Schmolke: Nachts im Paradies

Timur Vermes attestiert dem Künstler: „Er beschleunigt geschickt die Action, verzögert genüsslich Gefühliges und Grusliges, er verarbeitet sogar das Papier der Seiten zu Special Effects.“ (Den kompletten Text des Autors von Er ist wieder da finden Sie unten.)

Frank Schmolke: Nachts im Paradies

Wenn “Auftragsflauten oder finanzielle Krisen“ herrschten, arbeitete Frank Schmolke als Taxifahrer. Dabei entstanden erste Skizzen zu Nachts im Paradies im Taxi. Basierend auf eigenen Erlebnissen erzählt Schmolke vom Taxler Vincent, der sich während des Oktoberfests hohe Umsätze erhofft.Die Spontanität seiner Skizzen verarbeitete Schmolke zu einer spannenden Geschichte, die mit Jürgen Vogel verfilmt wird.

Der Augensammler

Sebastian Fitzek wäre wohl “ohne Abenteuer von Superhelden, Galliern oder Enten“ kein Autor geworden. Daher war er sehr gespannt auf eine Comic-Adaption seines Thrillers Der Augensammler. Schmolke setzt diesmal Farbe ein. Auch dies funktioniert bestens, weil die Kolorierung dabei hilft, Stimmungen zu vermitteln. Timur Vermes meint, dass durch die Farbe Schmolkes „schmutzig verschneites Berlin nicht bunter, sondern kälter“ wird.

Eine vom Kulturreferat der LH München geförderte und von Michael Khambekar vom Comicfestival München kuratierte Ausstellung zeigt – genau dort, wo Krimis und Comics ausgeliehen werden können – ausgewählte Sequenzen aus Nachts im Paradies und Der Augensammler.

FRANK SCHMOLKE Foto © Lars von Törne

Am Donnerstag, 22. September um 19.00 Uhr wird die Ausstellung des Comicfestival München mit einem von Heiner Lünstedt, dem Leiter des Comicfestival München moderierten, Künstlergespräch eröffnet. Sie können Frank Schmolke hier z. B. fragen, ob Sebastian Fitzek der Augensammler-Comic gefallen hat. Anschließend gibt es in der Ausstellung eine Signieraktion, bei der Frank Schmolke für die Besucherinnen und  Besucher zeichnet.

TIMUR VERMES Foto © Jörg Koch
Timur Vermes: Der Augensammler existiert in München

Frank Schmolke heißt er. 1967 hier geboren, zeichnet seit 20 Jahren, aber seit drei Jahren sammelt und öffnet er mehr Augen denn je. 2019 machte sein düsterer Hingucker „Nachts im Paradies“ das Wegschauen unmöglich. Denn die Taxifahrer-Ballade überraschte mit einem anderen, unbekannten München: die „Weltstadt mit Herz“ als schwarz-weißer Mega-Klotz aus abweisenden Glastürmen und vielspurigen Betonschneisen.

Nassgrau, im Herbst, voller Oktoberfestzombies, Zuhälter, Nutten.

Faszinierend unbehaglich.

„Nachts im Paradies“ gewann den renommierten Rudolph Dirks Preis, überzeugte Kritik und Leser – und öffnete Schmolke neben Herzen auch Türen. 2020 präsentierte er die Comic-Variante des deutschen Superhelden-Film „Freaks“, jetzt interpretiert er Sebastian Fitzeks Topseller „Der Augensammler“. Für Schmolke eine Gelegenheit, um mit großer Spielfreude noch finsterer zu werden.

Zerbrochene Menschen und ein kaputter Held, der dem eigenen Kopf misstraut. Schmolke zitiert den film noir und Nosferatus Schattenwelten.

Er beschleunigt geschickt die Action, verzögert genüsslich Gefühliges und Grusliges, er verarbeitet sogar das Papier der Seiten zu Special Effects. Er inszeniert wirkungsvoll Fitzeks bizarre Schockmomente,

Kategorie: „Das Schweigen der Lämmer“. Und obwohl Schmolke erstmals seit längerem wieder Farben nutzt, wird sein schmutzig verschneites Berlin dadurch nicht bunter, sondern kälter. Eine Gelegenheit, Fitzek neu zu entdecken, anders zu entdecken. Mit einem besonderen Vorteil hier, in Ihrer Bibliothek.

Denn hier stehen beide Versionen im Regal nebeneinander. Spannung links, Comic rechts.

Made in Berlin vs. Made in München – vergleichen Sie’s selbst.

 

 

The Rolling Stones – Das Comic!

Beim Bahoe Books liegt bereits ein Comic über die Beatles vor und die aktuell dort erschienene Biografie über die immer noch aktiven Rolling Stones funktioniert nach demselben bemerkenswert guten Konzept.

Cover von Bast

Die Comic-Kurzgeschichten, die sich mit den Phasen und Marotten der Stones beschäftigen, wurden von verschiedenen französischen Zeichnern in höchst unterschiedlichen Stilen zu Papier gebracht. Die Texte zu den Comics hingegen, aber auch zu den überleitenden Prosa-Kapitel, stammen alle von Erick Lasnel alias Céka, der bereits Comics über Michael Jackson und die Mondlandung verfasst hat.

Martin Trystam

Unter den Zeichnern befindet sich zwar kein “großer Name“, doch bei aller stilistischer Vielfalt gibt es auch keinen visuellen Ausrutscher. So kann in 21 Kapiteln miterlebt werden, wie Mick 1960 auf Keith trifft, wie sie auf Druck ihres Managers Andrew Loog Oldham als Glimmer Twins zu Songwritern werden, wie Brian Jones daran verzweifelt, dass er nicht seinen Platz in der Band gefunden hat und tot in seinen Swimmingpool aufgefunden wird.

Kyung-Eun Park

Wir erleben Mick Jagger als “Rebell im Bentley“, sowie das katastrophale Altamont-Festival mit Hells Angels als “Ordnern“, bekommen aber auch einen Einblick in die E-Gitarren-Sammlung von Keith Richards und sind dabei als Mick Taylor durch Ron Wood ersetzt wird. Im autobiografisch geprägten Kapitel Sommer 72 erzählt Céka davon, wie ein schüchterner Jüngling beim Engtanzen zu Angie die Liebe seines Lebens fand.

Patés

Diese Comic-Anthologie ist so aktuell, dass auch Abschied genommen wird von Charlie Watts, der 58 Jahre lang bei Konzerten auf Schlagzeugsolos verzchtete, als Jazzer immer ein “Fremder im Rockuniversum“ geblieben ist und den Eindruck erweckte, er wäre “nur zufällig ein Rolling Stone“ geworden. Das Abschlusskapitel feiert die unkaputtbaren Stones, die auch 2022 auf Tour gehen. Es ist ebenfalls zu hoffen, dass es auch mit dieser Comicbiografie-Reihe weitergeht.

Heiner Lünstedt

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Alexander Braun: Horror im Comic

„Die Meinungsfreiheit ist ein Grundrecht, aber es gibt kein Grundrecht für sittliche Belehrung und Bevormundung. Zumal es jedem freisteht, sich abzuwenden, wenn er etwas nicht zur Kenntnis nehmen will. So schräg es auf den ersten Blick klingen mag: Wer das Bedürfnis hat, ästhetisch zu simulieren, wie eine Kettensäge einen menschlichen Körper zerteilt, steht fest auf dem Boden des Rechts. Wer das zu verbieten versucht, tut es weniger.“

Dies schreibt Alexander Braun im Vorwort seines neuen Ausstellungskatalogs, der ein Jahr nach der Veröffentlichung seines ebenso gewichtigen, wie aussagekräftigen Bildbands Will Eisner – Graphic Novel Godfather erschienen ist. Eine dreißigseitige Einleitung geht ganz schön in die Tiefe bei der Beantwortung der Frage, warum sowohl Künstler als auch das Publikum von Schreckensbildern fasziniert sind.

Rembrandt: Die Anatomie des Dr. Tulp

Zur Diskussion gestellt werden dabei Thesen von Immanuel Kant und Jean-Jacques Rousseau über das Böse im Menschen. Zur Abbildung kommen blutige Gemälde von Rembrandt, Goya und Caravaggio, aber auch Szenen aus Tobe Hoopers Horror-Klassiker The Texas Chain Saw Massacre. Dabei stellt Braun die berechtigte Frage, warum Museen die von ihm ausgewählten Gemälde auch für Kinder frei zugänglich zeigen, während Hoopers Film in Deutschland indiziert wurde.

Passend hierzu trägt das erste Kapitel des Buchs, das sich mit den EC-Comics beschäftigt, den Untertitel “Amerikas Weg in die Zensur“. Zum Abdruck kommen hervorragende Reproduktionen der Exponate, der im schauraum: comic + cartoon gezeigten Ausstellung Horror im Comic. Zu bestaunen gibt es neben Comicseiten von Künstlern wie Jack Davis oder Johnny Craig, auch die Originalseiten einer kompletten EC-Story von Graham Ingels.

Enthalten ist aber auch die deutsche Übersetzung des kompletten Protokolls einer Aussage von EC-Herausgeber Bill Gaines. Dieser hatte sich freiwillig gemeldet, um am 21. April 1954 den US-Senatsausschuss davon zu überzeugen, dass die von ihm produzierten durchaus moralischen Horrorcomics keineswegs die Jugend verderben. Gaines hielt vor dem Ausschuss zwar einen Monolog voller guter Argumente, versagte aber im Kreuzverhör und machte die Regierungsbehörden erst durch diesen Auftritt auf seine Comics aufmerksam.

Das Resultat war der Comics Code, der es Gaines unmöglich machte, seine Comics weiterhin an die Kioske zu bringen. Das ebenfalls von ihm verlegte Satiremagazin MAD rettete ihn vor dem Ruin. Es wurde zu einem Riesenerfolg, nachdem es nicht mehr als Comicheft, sondern als Magazin erschien und Gaines sich daher nicht mit den Vorgaben des Comics Code herumärgern musste.

Auch der Verleger James Warren veröffentlichte seine von Künstlern wie Frank Frazetta, Richard Corben oder Bernie Wrightson gezeichneten schwarzweißen Horrorcomics in Zeitschriften. Den ab 1964 bzw. 1967 erscheinenden Warren-Magazinen Creepy und Eerie widmet Alexander Braun ein Kapitel. Ein Großteil des Buchs beschäftigt sich außerdem damit, wo Monster wie Vampire, Werwölfe, Geister oder Zombies ihre Ursprünge haben und in welcher Form sie durch die Comics spukten.

Den Abschluss bilden Kapitel über Fumetti Neri wie Diabolik oder Dylan Dog, sowie besonders extreme Horror-Comics aus Japan. Alexander Braun arbeitet seine Themen nicht stur ab, sondern betritt unterwegs auch interessante Nebenwege und lockert den Text durch Anekdoten auf. Auch Leser, die sich bereits sehr gut mit Horrorcomics auskennen, dürften in diesem Buch so manche Entdeckung machen.

Heiner Lünstedt

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